Liebe Tirolerinnen und Tiroler!
Mitte der 1980er-Jahre war in vielerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Zeit. Ich habe die Volksschule besucht, und wir konnten noch auf der Straße Fußball spielen. In der Ukraine explodiert ein Atomreaktor. Eine Mauer, ein Vorhang, der schon 30 Jahre lang Frieden und gemeinsamer Entwicklung im Wege steht, trennt Europa, geht mitten durchs Herz. Der Aufstieg der neuen Rechten in Mitteleuropa sorgt für Ausgrenzung, in Deutschland brennen Asylantenheime.
In diesem Klima bricht die Zivilgesellschaft auf: Die Protestbewegungen gegen eine Ideologie des reinen Wachstums ohne Rücksicht auf Menschen und Natur beschließen, dass Protest alleine nicht genügt und durch Sektierertum gemeinsame Zielen nicht erreicht werden können. Die Friedensbewegung, die Umweltbewegung und die Frauenbewegung machen gemeinsame Sache und ziehen in die Parlamente ein.
Ende der 80er-Jahre erblickt Andreas Angerer, der jüngste Landtagsabgeordnete Österreichs, das Licht der Welt. Unser neuer Abgeordneter Ahmet Demir emigriert: von Zams nach Landeck. Eva Lichtenberger zieht in den Tiroler Landtag ein. George Bush, Margaret Thatcher und Helmut Kohl regieren die westliche Welt. Die frisch gegründeten Grünen repräsentieren in diesen Jahren des Umbruchs den Gegenentwurf zu den herrschenden Verhältnissen: Sie wollen Frieden, gleiche Rechte für Männer und Frauen, egal welcher Herkunft, Umverteilung von Wohlstand, verkrustete Familienbilder aufbrechen und vor allem die Welt retten.
Im letzten Vierteljahrhundert sind die Grünen von der Protestpartei zur Konzeptpartei und von der Konzeptpartei zur Regierungspartei geworden. Die Welt wollen wir immer noch retten. Aber wir haben mitunter bittere Lektionen gelernt auf diesem Weg: Dass in einer Demokratie vieles nicht so schnell geht, wie wir es uns wünschen, uns gesellschaftlichen Wandel vorstellen. Dass wir nicht jede Militärbasis und alle Ölplattformen schließen und auch nicht jedes Lebewesen retten können. Dass die Mächtigen zwar weniger, aber trotzdem oft stärker sind, als die, denen wir eine Stimme geben wollen.
Nach 24 Jahren Oppositionspolitik im Land Tirol, die vom Kampf gegen den Transitverkehr und um den Erhalt der Tiroler Natur geprägt war, legen wir heute das erste Mal ein Regierungsprogramm vor, unter dem die Unterschrift der Tiroler Grünen steht. Es ist kein grünes Grundsatzprogramm, das wir auf 55 Seiten festgehalten haben. Es ist auch keine Liebeshochzeit, wie so oft geschrieben wurde. Aber was wir heute vorlegen, ist das Programm einer Koalition des Aufbruchs. Es ist die logische Fortsetzung dessen, was Georg Willi mit seinem Wahlerfolg vor 10 Jahren begonnen hat. Das Koalitionsabkommen, über das wir heute diskutieren werden, enthält entscheidende Schritte für die Ökologisierung und die gesellschaftliche Öffnung in Tirol.
Ich nenne an dieser Stelle die Weisungsfreiheit des Umweltanwalts und das Bekenntnis zur Alpenkonvention als rechtlichen Rahmen. Ich nenne an dieser Stelle die ersten Schritte in Richtung einer gemeinsamen Schule für alle Kinder. Ich nenne an dieser Stelle das 365€-Öffi-Ticket, das im Laufe dieser Legislaturperiode kommen wird.Das bedeutet einen Euro pro Tag für Öffi-Mobilität in ganz Tirol. Ich nenne an dieser Stelle das explizite Bekenntnis zur Gleichbehandlung verschiedener Familien- und Lebensformen. Ich nenne an dieser Stelle die Öffnung des Landtages für die Bürger und Bürgerinnen, die nicht mehr nur zuhören, sondern im öffentlichen Petitionsausschuss mitreden und mitmachen dürfen, Ich nenne an dieser Stelle die Regierungsverantwortung der Grünen für die Umwet, den Natur- und Klimaschutz, für die Mobilität, für das Sozialressort, die Jugendwohlfahrt, für die Menschen, die hier Schutz und eine neue Heimat suchen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Für mich ging das Programm noch grüner. Aber wenn wir Grüne warten, bis wir 51% der Stimmen haben, dann wird das nichts mit der Rettung der Welt. Wir übernehmen in dieser Koalition des Aufbruchs Verantwortung. Wir übernehmen Verantwortung für zweitbeste Lösungen, die wir immer noch besser finden, als gar keine Lösungen. Wir übernehmen Verantwortung für Baustellen, die wir nicht mehr weg-, sondern nur mehr aufräumen können. Vor allem aber übernehmen wir da Verantwortung, wo wir am besten sind und wo wir am dringendsten gebraucht werden: Im Naturschutz, in der Mobilität und im Sozialbereich. Was jetzt schon gelungen ist: Es gibt durch einige der zweitbesten Lösungen, die wir in der Regierung anstreben, einen großen Diskurs über ökologische Themen. Die Diskussion über den Naturschutz ist wichtig und ich hoffe, sie wird uns die nächsten 5 Jahre begleiten.
Wenn ein Land politisch so auseinanderdriftet, wie das in Tirol in den letzten Jahren der Fall war, braucht es eine Zusammenarbeit von Menschen, die GegnerInnen an einen Tisch bringen und Lösungen für die dringenden Fragen entwickeln und begleiten können. Wenn die stärkste Partei in der Landeshauptstadt mit der stärksten Partei im Land zusammenarbeitet, ist das eine gute Grundlage für eine Kooperation auf Augenhöhe. Diese Augenhöhe ermöglicht einen offenen Blick auf die Haltung und Position des anderen. Und nur wer beide Seiten kennt, kann Brücken über schier unüberwindbare Gräben bauen. Das ist das Ziel der kommenden fünf Jahre unserer Regierungszusammenarbeit. Wir wollen gemeinsam an der Überwindung dieser Gräben und Pattsitiuationen arbeiten, mit voller Kraft. Und dafür wünschen wir uns für die kommenden fünf Jahre ihre kritische Begleitung und ihre Unterstützung!
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